Epigone

Zuerst jüdische Kinder im KZ, dann ermordete Roma und traumatisierte Bootsflüchtlinge und jetzt die Christine Lavant … Alle auf Jute und nachgezeichnet. Und noch etwas: Ein „blauer Baum“ (eigentlich ein ausgegrabener Stumpf) gleich neben dem Kurpark – bei uns in Velden. Überbleibsel und angestrichen. Wenn er doch wenigstens rot wär‘, der Stumpf – gleich neben dem Kurpark. Und von wem ist das alles? Vom dank seines Bruders mehr bekannten als ideenreichen Nachzeichner und Anstreicher. Seine Ideen: berechnend – und aufgeblasen von einigen Schreiberlingen.

Wenn jemand Bilder an die Wand projiziert und nachzeichnet oder ausgegrabene Baumstümpfe anstreicht, ist er kein Erfinder und kein Gestalter und deshalb auch kein Künstler. – Er ist ein austauschbarer Epigone. Ja – der ist er.

Manfred Pichler

Qualität von fotografischer Kunst 1

Wenn einige meinen, dass nur in Museen und bestimmten Galerien gezeigte und der Öffentlichkeit gefallende Kunst gute Kunst sei, dann ist das eine Meinung, die ich nicht teilen kann. Für mich wirken in guter gegenständlicher Kunst besondere Kräfte: Kräfte, die Denkanstöße geben, Missstände aufdecken und Kritik üben. Eigenständigkeit und Neuartigkeit, Erfindungsreichtum und Originalität, Entschiedenheit und Wahrhaftigkeit, Konsequenz und …: all das – ist mir zu wenig.

Verbindliche Merkmale für die Qualität von Kunst gibt es nicht, und für die Qualität von Fotografie gibt es sie schon gar nicht. Und warum nicht? Weil Fotografie für die unterschiedlichsten Zwecke eingesetzt wird. Die Gebrauchsfotografen arbeiten zweckgebunden und haben Schwierigkeiten mit zweckfreier fotografischer Kunst, wenn die von ihnen erlernten und geschätzten Kriterien der ausgewogenen Grauwertverteilung, der richtigen Farbwiedergabe, der Feinkörnigkeit des fotografischen Materials u. a. nicht erfüllt sind. Ein Künstler allerdings: er schert sich recht wenig um diese Kriterien.

Die genannten Qualitätsmerkmale von angewandter, zweckgebundener Gebrauchsfotografie sind in der freien, fotografischen Kunst nicht von Bedeutung. Hier zählen Kriterien wie Erfindung, Gestaltung, Komposition … Und: Es entstehen keine Abbilder, sondern Sinnbilder oder Symbolbilder.

Ganz allgemein erkennt man gute fotografische Kunst „an der Kombination aus einer formal perfekten Bildlösung und einer inhaltlichen Spannung“ (M. Hader). Aber: Um eine schöpferische Fotoarbeit einigermaßen objektiv beurteilen zu können, genügt es nicht, auf das Formale zu achten und nach der in ihr wirkenden besonderen Kraft zu suchen. – Wir müssen auch nach ihrem Kontext fragen. Denn: Würden wir z. B. eine einzelne Arbeit aus einer mehrteiligen Serie isoliert beurteilen, ergäben sich mit Sicherheit Probleme.

Resümierend: In der fotografischen Kunst sollten formale Kriterien erfüllt sein und Kräfte wirken, die Denkanstöße geben, Missstände aufdecken und Kritik üben. Kurz: Fotografische Kunst sollte vor allem politisch sein.

Manfred Pichler

1 Ein Gegensatz wie Feuer und Wasser: „FOTOGRAFISCHE KUNST“ und „Künstlerische Fotografie“

EIN VERSUCH DER DEFINITION DES KNIPSERS (frei nach Vilem Flusser)

Die Kamera ist ein strukturell komplexer, aber funktionell einfacher Apparat. Mit ihr kann jeder Fotos machen, ohne auch nur eine blasse Ahnung davon zu haben, welch komplexe Prozesse er mit dem Druck auf den Auslöser in Gang setzt.

Für den Knipser ist seine Kamera ein Spielzeug, von dessen struktureller Komplexität er fasziniert ist. Im Gegensatz zum fotografischen Autor geht es ihm nicht um Information i. S. v. Verwandlung durch Geben einer neuen, gewollten Form, sondern um das kontinuierliche Simplifizieren seiner Funktion dank immer perfekter werdender Automation. Er ist berauscht von der für ihn undurchschaubaren Automatizität seiner Kamera. Der Fotoclub ist für ihn ein Ort der Berauschung an apparatischen Strukturkomplexitäten, ein Ort von Trips, eine nachindustrielle Opiumhöhle.

Der Knipser macht, was seine Kamera von ihm verlangt: immer wieder redundante (i. S. v. keine neuen Informationen tragende) Fotos. Diese Manie der ewigen Wiederholung des Gleichen (oder sehr Ähnlichen) führt schließlich dazu, dass sich der Knipser blind fühlt: Abhängigkeit beginnt. Der Knipser kann die Welt dann nur noch durch seine Kamera und in den Fotokategorien sehen. Er steht nicht darüber, sondern ist (von seiner Kamera verschlungen) zum verlängerten Selbstauslöser eines Apparates geworden. Sein Verhalten ist automatisches Kamera-Funktionieren.

Resümierend: Der Knipser ist ein spielsüchtiger „Apparatschick“, der immer wieder bewusstlos Fotos ohne neue Informationen produziert, die im Grunde nichts als realisierte Möglichkeiten eines Apparates sind.

Manfred Pichler

DIE WELT DER KUNST

IST KLEIN. Sie besteht (abgesehen von den Künstlern) aus ungefähr neuntausend Kultur-Gschaftlern (Kustoden, Galeristen, Mäzene, Sammler, Kritiker u. a.) in New York, Paris, London, Rom, Mailand, Berlin, München und Düsseldorf, und vielleicht noch weiteren tausend, verstreut über die restliche Welt. Resümierend kann man sagen, dass die Welt der Kunst etwa zehntausend Seelen zählt.

Die Meinung, dass die Öffentlichkeit in der modernen Kunst irgendetwas akzeptiert oder ablehnt, verachtet, ignoriert, nicht begreift, verkümmern lässt, von vornherein zunichte macht oder irgend ein anderes Verbrechen wider die Kunst im Allgemeinen oder den einzelnen Künstler im Besonderen begeht, ist ein großer Irrtum. Das Spiel ist längst vorbei, und die Lorbeerkränze sind schon lange umgehängt, wenn die Öffentlichkeit schließlich erfährt, was los ist. Die Öffentlichkeit, all jene Philister, Penner, Selbstdarsteller, Busladungen voller Neugieriger, Onkel und Tanten – und zwischendrin noch ein paar Intelektuelle – , sie sind nichts anderes als Touristen, Autogrammjäger, Gaffer, Sterndeuter, was das Spielchen Erfolg in der Kunst anbelangt. Die Öffentlichkeit steht vor vollendeten Tatsachen und vielleicht vor einer Information, die üblicherweise in Form eines Berichtes im Kulturteil einer Zeitung verbreitet wird. Wie gesagt, vor einer Information. Nicht einmal Massenmedien wie Rundfunk und Fernsehen sind in der Lage, einen Künstler zu entdecken oder seinen Wert festzulegen. Sie können lediglich die Botschaft verkünden, welche Künstler die Kultur-Gschaftler entdeckt und abgesegnet haben. Sie können nur noch die Ergebnisse bekannt geben.

Allmählich begreift wenigstens das engagierte Publikum, dass die moderne Kunst nach dem Ersten Weltkrieg allen Ruhm der Erfüllung nicht etwa deshalb genoss, weil sie endlich verstanden oder endlich gewürdigt wurde, sondern deswegen, weil ein paar Leute aus den richtigen Kreisen ihre eigene Verwendung dafür fanden.

Manfred Pichler