EIN VERSUCH DER DEFINITION DES KNIPSERS (frei nach Vilem Flusser)

Die Kamera ist ein strukturell komplexer, aber funktionell einfacher Apparat. Mit ihr kann jeder Fotos machen, ohne auch nur eine blasse Ahnung davon zu haben, welch komplexe Prozesse er mit dem Druck auf den Auslöser in Gang setzt.

Für den Knipser ist seine Kamera ein Spielzeug, von dessen struktureller Komplexität er fasziniert ist. Im Gegensatz zum fotografischen Autor geht es ihm nicht um Information i. S. v. Verwandlung durch Geben einer neuen, gewollten Form, sondern um das kontinuierliche Simplifizieren seiner Funktion dank immer perfekter werdender Automation. Er ist berauscht von der für ihn undurchschaubaren Automatizität seiner Kamera. Der Fotoclub ist für ihn ein Ort der Berauschung an apparatischen Strukturkomplexitäten, ein Ort von Trips, eine nachindustrielle Opiumhöhle.

Der Knipser macht, was seine Kamera von ihm verlangt: immer wieder redundante (i. S. v. keine neuen Informationen tragende) Fotos. Diese Manie der ewigen Wiederholung des Gleichen (oder sehr Ähnlichen) führt schließlich dazu, dass sich der Knipser blind fühlt: Abhängigkeit beginnt. Der Knipser kann die Welt dann nur noch durch seine Kamera und in den Fotokategorien sehen. Er steht nicht darüber, sondern ist (von seiner Kamera verschlungen) zum verlängerten Selbstauslöser eines Apparates geworden. Sein Verhalten ist automatisches Kamera-Funktionieren.

Resümierend: Der Knipser ist ein spielsüchtiger „Apparatschick“, der immer wieder bewusstlos Fotos ohne neue Informationen produziert, die im Grunde nichts als realisierte Möglichkeiten eines Apparates sind.

Manfred Pichler