Qualität von fotografischer Kunst 1
Wenn einige meinen, dass nur in Museen und bestimmten Galerien gezeigte und der Öffentlichkeit gefallende Kunst gute Kunst sei, dann ist das eine Meinung, die ich nicht teilen kann. Für mich wirken in guter gegenständlicher Kunst besondere Kräfte: Kräfte, die Denkanstöße geben, Missstände aufdecken und Kritik üben. Eigenständigkeit und Neuartigkeit, Erfindungsreichtum und Originalität, Entschiedenheit und Wahrhaftigkeit, Konsequenz und …: all das – ist mir zu wenig.
Verbindliche Merkmale für die Qualität von Kunst gibt es nicht, und für die Qualität von Fotografie gibt es sie schon gar nicht. Und warum nicht? Weil Fotografie für die unterschiedlichsten Zwecke eingesetzt wird. Die Gebrauchsfotografen arbeiten zweckgebunden und haben Schwierigkeiten mit zweckfreier fotografischer Kunst, wenn die von ihnen erlernten und geschätzten Kriterien der ausgewogenen Grauwertverteilung, der richtigen Farbwiedergabe, der Feinkörnigkeit des fotografischen Materials u. a. nicht erfüllt sind. Ein Künstler allerdings: er schert sich recht wenig um diese Kriterien.
Die genannten Qualitätsmerkmale von angewandter, zweckgebundener Gebrauchsfotografie sind in der freien, fotografischen Kunst nicht von Bedeutung. Hier zählen Kriterien wie Erfindung, Gestaltung, Komposition … Und: Es entstehen keine Abbilder, sondern Sinnbilder oder Symbolbilder.
Ganz allgemein erkennt man gute fotografische Kunst „an der Kombination aus einer formal perfekten Bildlösung und einer inhaltlichen Spannung“ (M. Hader). Aber: Um eine schöpferische Fotoarbeit einigermaßen objektiv beurteilen zu können, genügt es nicht, auf das Formale zu achten und nach der in ihr wirkenden besonderen Kraft zu suchen. – Wir müssen auch nach ihrem Kontext fragen. Denn: Würden wir z. B. eine einzelne Arbeit aus einer mehrteiligen Serie isoliert beurteilen, ergäben sich mit Sicherheit Probleme.
Resümierend: In der fotografischen Kunst sollten formale Kriterien erfüllt sein und Kräfte wirken, die Denkanstöße geben, Missstände aufdecken und Kritik üben. Kurz: Fotografische Kunst sollte vor allem politisch sein.
Manfred Pichler
1 Ein Gegensatz wie Feuer und Wasser: „FOTOGRAFISCHE KUNST“ und „Künstlerische Fotografie“