ÜBER DIE „LINKE MORAL“
(Nach Peter Brückner)

Zu den Grundwerten, die unsere Gesellschaft in den „guten alten Zeiten“ vom Einzelnen erwartet hat (und auch heute erwarten sollte), gehört neben anderem die „achtsame Rücksichtnahme“ auf die Gefühle anderer. Diese setzt Einfühlungsvermögen und ein Gespür für die Besonderheit des Gegenübers voraus.

Die Moral, die verändern will, macht den Einzelnen zur Zusammenarbeit bereit und in vielen Fällen auch formbar. Wenn die „Partei“ nur noch Friede oder nur noch Gewalt ist, nur noch Theorie oder nur noch Parteilichkeit, wenn die eigene Gruppe Gleichgesinnter das Problem des „Bösartigen“ wegrationalisiert, verharmlost oder selbst „bösartig“ wird, dann muss der Einzelne seiner „Partei“ gegenüber jene Leistung erbringen, die er gegenüber dem „gegebenen Herrschaftssystem“ schon oft erbracht hat: die, nicht mitzumachen. Die Moral, gegebenenfalls nicht mitzumachen – das erst wäre individuell und „links“.

Und eine Bewährungsprobe für „linke Moral“ ist, Widersprüche auszuhalten und in sich zu schlichten: ohne vor dem „historischen Bösen“ (dem, was Menschen einander angetan haben und immer noch antun) in die Knie zu gehen und auf Verständnis und Mitgefühl zu verzichten. Ja: Ob wir uns ein Stück „achtsame Rücksichtnahme“ erhalten, wird auch mit zur Bewährungsprobe „linker Moral“ gehören. – Ich bin ein „moralischer Linker“.

Manfred Pichler